Selbstkompetenz
Unter Selbstkompetenz als Teil einer Diversitykompetenz verstehen wir, sich selbst und anderen gegenüber eine empathische, positive und wertschätzende Haltung einzunehmen und sich selbstreflexiv weiterzuentwickeln.
Unconscious Bias
Ein erster und vielleicht sogar der wichtigste Schritt in Richtung diversitybezogener Selbstkompetenz ist es anzuerkennen, dass Diversity immer mit einem selbst zu tun hat. Wie die beiden US-Amerikanischen Diversity-Beraterinnen Lee Gardenswartz und Anita Rowe treffend formulieren:
“Diversity is an ‘inside job’, meaning that diversity is not about ‘them’. Rather, it is about each person coming to terms with his or her attitudes, beliefs, and expectations about others.”
Die angesprochenen Haltungen, Überzeugungen und Erwartungen sind stark geprägt von unserem Wahrnehmungsapparat sowie unserem gesellschaftlichen Umfeld und unserer Sozialisation. Unsere Wahrnehmung neigt zur Vereinfachung, damit Denkprozesse und vor allem Entscheidungen schneller gehen. Zum Zwecke dieser Beschleunigung arbeitet unser Gehirn mit Stereotypen, mit pauschalen Ansichten über Menschen, die zu einer bestimmten Gruppierung gehören und zwar nur auf Grundlage ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe. So gelten dann Asiat*innen als fleißig oder gut in Mathematik, Schwarze als sportlich oder Homosexuelle als kreativ.¹
In Anbetracht unserer begrenzten Informationsverarbeitungskapazität sind diese “Abkürzungen” durchaus sinnvoll. Würden wir jede unserer alltäglich notwendigen Entscheidungen genau durchdenken, wären wir schnell handlungsunfähig. Auch geben Sie vereinfachende Orientierung in einer zunehmend komplexeren Welt, “[…] denn Vorurteile verwandeln Ambivalenzen in Eindeutigkeiten.” Weiterhin helfen Sie dabei, die eigene Identität oder die der eigenen Gruppe, des eigenen Kollektivs, nach außen abzugrenzen – man zeigt so, wer man nicht ist.²
Problematisch werden diese Denkmuster, wenn sie emotional aufgeladen sind und zu negativen Vorurteilen werden – wenn wir also Gruppen oder Individuen auf der Grundlage starrer, pauschaler, negativer Einstellungen abwertend betrachten. Was die “anderen” dabei jeweils ausmacht, ist ganz subjektiv. Das können Vorurteile gegenüber tatsächlich existierenden Gruppen sein, bspw. nach Herkunft, Alter oder Religion, oder aber auch solche, die durch Zuschreibungen wie “faul”, “kriminell” oder “asozial” erst entstehen.
Menschen lernen im Lauf ihrer Sozialisation Vorurteile in Familie und sozialem Umfeld, sie leiten sie nicht aus schlechten Erfahrungen mit bestimmten Bevölkerungsgruppen ab. Auch wenn unangenehme Begegnungen mit Angehörigen stigmatisierter Gruppen Vorurteile bestätigen können, sind sie selten deren Ursache. Vor allem wenn Vorurteile zum
Element des Überzeugungsrepertoires in einem Milieu oder einer ganzen Gesellschaft geworden sind, sind persönliche Erlebnisse zur Ausbildung von Vorurteilen nicht notwendig. Eher setzen Vorurteile einen Kreislauf in Gang, weil sie den Kontakt zur abgelehnten Bevölkerungsgruppe verhindern. So können eigene Erfahrungen Phantasien über »die Juden«, »die Zigeuner« oder »die Ausländer« nicht mehr herausfordern.³
Die Rahmenbedingungen für den Umgang mit Diversität werden dadurch stark beeinflusst, wie in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Massenmedien, über einzelne Bevölkerungsgruppen gesprochen wird.
Nun kommt eine große Schwierigkeit hinzu, nämlich dass uns die Stereotypen und Vorurteile, die wir einsetzen, häufig nicht bewusst sind, man nennt das Unconscious Bias, unbewusste Wahrnehmungs- und Urteilsverzerrungen. Ein Beispiel dafür sind “Kevinismus” und “Chantalismus”, wenn nämlich Lehrkräfte Lernende mit bestimmten Vornamen mit negativen Eigenschaften – wie leistungsschwach oder unfreundlich zu sein – assoziieren, also unbewusste Vorurteile zeigen. Anders als beim entgegengesetzten “Emilismus” werden Lernenden damit Bildungs- und Lebenschancen verbaut.
Was hilft? Gehen Sie auf andere zu, suchen und wertschätzen Sie die Gelegenheit das Ihnen Fremde zu erleben. Versuchen Sie generell, sich Ihrer eigenen Gedankengänge und (Vor-)Urteile bewusst zu werden, sie sich selbst zugänglich zu machen. Das kann durch aufmerksames Beobachten der Reaktionen anderer auf das eigene Handeln geschehen, durch Selbstreflexion in der Rückschau oder auch durch Feedback, das man sich aktiv einholt. Ihre größte Hürde dabei: Der “Blind Spot Bias”, die Tendenz, sich selbst für jemanden ohne Bias zu halten.
¹ vgl. Domsch, Michel E.; Ladwig, Désirée H.; Weber, Florian C. (Hrsg.*innen), UNCONSCIOUS BIAS – Eine Einführung zu Vorurteilen im Arbeitsleben, in: Domsch, Michel E.; Ladwig, Désirée H.; Weber, Florian C., Vorurteile im Arbeitsleben. Unconscious Bias erkennen, vermeiden und abbauen, Berlin 2019, S. 3-20.
² vgl. Benz, Wolfgang; Widmann, Peter, Langlebige Feindschaften – Vom Nutzen der Vorurteilsforschung für den Umgang mit sozialer Vielfalt, in: Krell, Gertraude; Riedmüller, Barbara; Sieben, Barbara; Vinz, Dagmar (Hrsg.*innen), Diversity Studies. Grundlagen und disziplinäre Ansätze, Frankfurt, New York 2007, S. 35-48, hier S. 39.
³ ebd. S. 43